Falsche Prioritäten und bürokratische Maßnahmen

1. November 2022

Der Klinikverbund Hessen erwartet bei aktuellen Vorhaben des Gesundheitsministeriums viel Aufwand und wenig Erfolg

Das Bundesgesundheitsministerium hatte diese Woche Eckpunkte für die neue Versorgungsform der Tagesbehandlung sowie für die Sicherung der Krankenhausabteilungen Kinderheilkunde und Geburtshilfe vorgelegt. Zudem befindet sich der Entwurf zum Krankenhauspflegeentlastungsgesetz in der Beratung durch den Gesundheitsausschuss des Bundestages.

„Dass sich das Bundesgesundheitsministerium jetzt überhaupt um die Krankenhausversorgung kümmert, ist an sich ja begrüßenswert, aber alles, was diese Woche gesagt und veröffentlicht worden ist, bringt gar nichts!“, meint Clemens Maurer, Vorstandsvorsitzender des Klinikverbunds Hessen. Die Prioritäten seien völlig falsch gesetzt. „Die Krankenhäuser befinden sich akut in einer schweren wirtschaftlichen Krise und sind existentiell bedroht! Hier muss die Politik sofort handeln, sonst bricht die Gesundheitsversorgung vielerorts zusammen“, stellt Maurer klar. Krankenhäuser können die Preissteigerungen auf der Kostenseite nicht durch die gesetzlich festgelegten Erlöse aus der Krankenhausbehandlung ausgleichen. Die meisten Krankenhäuser des Klinikverbunds erwarteten daher Defizite in Millionenhöhe und hätten auch wenig Spielraum bei der Liquidität. Die Kliniken bräuchten sofort einen Ausgleich für die gestiegenen Preise und die Inflation, das müsse die höchste Priorität haben. „Die anstehende Zahlung des Weihnachtsgeldes für die Mitarbeiter bringt viele Krankenhäuser in eine schwierige Liquiditätslage und wenn nicht sofort etwas dagegen unternommen wird, dann müssen nicht nur Kinderkliniken und Geburtshilfen, sondern ganze Krankenhäuser dicht machen,“ ist Maurer überzeugt.

Dazu komme, dass mit Ende des Jahres auch die verkürzte Zahlungsfrist der Krankenkassen für Krankenhausleistungen auslaufe. „Für die hessischen Krankenhäuser bedeutet dies, dass von jetzt auf gleich die Zahlungsfrist von fünf auf dreißig Tage ansteigt, de facto also ein Monat lang keine Einnahmen fließen. Das kann kaum ein Krankenhaus durchhalten!“, betont Maurer. Es brauche dringend eine Weitergeltung der verkürzten Zahlungsfrist sowie ausreichende Übergangsregelungen bei deren Auslaufen.

Zudem solle mit den derzeit in der parlamentarischen Beratung befindlichen Entwurf des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes die Möglichkeit genommen werden, die Landesbasisfallwerte als Grundlage der Krankenhausvergütung an besondere Entwicklungen anzupassen. „Mit den geplanten Streichungen in § 10 Krankenhausentgeltgesetz wird den Krankenhäusern genau die Möglichkeit genommen, die es jetzt bräuchte, um den Landesbasisfallwert an die einerseits stark gestiegenen Kosten und andererseits nach wie vor verminderten Fallzahlen anzupassen“, erläutert Achim Neyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Klinikverbunds Hessen.

Auch die im Entwurf vorgesehene Art der Einführung der Pflegepersonalbemessung PPR 2.0 stößt auf heftige Kritik: „Zu kleinteilig, zu kompliziert und mit dem ursprünglichen Vorschlag, der ja unter anderem von der Pflege selbst kam und Konsens war, hat das nichts mehr zu tun“, betont Neyer. Mit der geplanten gesetzlichen Umsetzung und den darauf beruhenden Vereinbarungen der Selbstverwaltung werde diese Regelung zu einem Bürokratiemonster und schade der Pflege mehr, als es nütze.

Beim dritten inhaltlichen Bestandteil des Gesetzentwurfes, der sich auf die Budgetverhandlungen bezieht, sehe der Klinikverbund Hessen ebenfalls unnötige Bürokratie ohne Nutzen. Der Versuch, die Prospektivität bei den Budgetverhandlungen zu erreichen, sei völlig unsinnig, überflüssig und für alle Beteiligten extrem aufwändig. „Scheinbar meint man in der Politik, die Verantwortlichen in Krankenhäusern und Krankenkassen sowie die Beteiligten in den Schiedsstellen hätten gerade in der jetzigen Situation nichts anderes zu tun als sich ausschließlich mit den Budgetverhandlungen zu beschäftigen“, meint Reinhard Schaffert, Geschäftsführer des Klinikverbunds Hessen. Aus seiner Sicht könne stattdessen auf die Budgetverhandlungen sogar weitgehend verzichtet werden, da die Begründung für deren Einführung in den 1980er Jahren – die unkontrollierte Leistungsausweitung – entfallen sei. „Für eine Leistungsausweitung fehlt inzwischen schlicht das Personal“, meint Schaffert.

In Bezug auf die vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten Eckpunkte für die Förderung der Kinderkliniken und Geburtshilfen sei die Frage, ob die dort genannten Maßnahmen die richtigen Lösungen seien. „In ländlichen Regionen werden diese Abteilungen nicht nur deshalb geschlossen, weil sie nicht wirtschaftlich zu betreiben sind, sondern vor allem, weil das notwendige Fachpersonal sowohl im ärztlichen Bereich als auch bei den Hebammen fehlt“, sagt Schaffert. Gerade in der Geburtshilfe gebe es aus Qualitätsgründen hohe Anforderungen an die Personalausstattung, die in ländlichen Regionen oft nicht mehr zu erfüllen sein.

Die Politik müsse nach Ansicht des Klinikverbunds Hessen die Prioritäten erkennen. „Krankenhäuser brauchen zuerst und jetzt akut einen echten Inflationsausgleich, sonst gibt es bald keine Krankenhausstrukturen mehr!“, betont Schaffert. Danach könne über Strukturen diskutiert werden, aber das dürfe sich nicht nur auf die Krankenhäuser oder einzelne Bereiche beziehen. „Stationäre und Ambulante Versorgung sind kommunizierende Röhren, man kann die stationären Strukturen nicht ohne Auswirkungen auf die ambulante Versorgung verändern; die ist aber selbst an ihren Grenzen“, erläutert Schaffert. Jetzt schon wieder neue ‚sektorübergreifender‘ Behandlungsformen wie die Tagesbehandlungen einzuführen, bringe nur neue Bürokratie und keine Entlastung oder Verbesserung der Versorgung. Statt dessen müsse endlich die Mauer zwischen ambulanter und stationärer Versorgung eingerissen werden. „Nur wenn wir es mittelfristig schaffen, eine durchgängige abgestimmte und abgestufte Versorgung von ambulant über stationär bis hochspezialisiert einzuführen und bürokratiearm umzusetzen werden wir mit den demografisch weniger werdenden Fachkräften eine gute Versorgung aufrecht erhalten können“, ist Schaffert überzeugt.

Quelle: Pressemeldung – klinikverbund-hessen.de
Render-Time: 0.455425