KI-gestütztes Diabetes-Management auf Station

21. März 2024

Es war das Herzensprojekt von Dr. Markus Menzen, Chefarzt Diabetologie am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, der im Dezember sehr plötzlich verstorben ist und eine große Lücke hinterlässt: ein innovatives KI-gestütztes Blutzuckermessystem, das den gesamten Blutzuckermanagementprozess digitalisiert und das medizinische Fachpersonal bei der Behandlung von Patient:innen mit Diabetes unterstützt, indem es die jeweils korrekte Insulindosierung vorschlägt und den Behandlungsverlauf automatisch dokumentiert.

Rund 30 Prozent der Patient:innen, die aus unterschiedlichen Gründen stationär im Krankenhaus aufgenommen werden, haben auch eine Diabetes-Erkrankung und damit ein zweifach erhöhtes Risiko für Komplikationen, denn der Behandlungs-Stress, die ungewohnte Ernährung und das verminderte Bewegungsausmaß führen häufig dazu, dass der Blutzucker entgleist und es zu Komplikationen und längerer Verweildauer im Krankenhaus kommt.

Damit entsteht ein hoher Druck für das behandelnde Team, das in der Regel nicht für die Diabetes-Therapie geschult ist. Am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn führte Dr. Markus Menzen die auf Blutzuckermanagement spezialisierte Softwarelösung GlucoTab der decide Clinical Software GmbH (Spin-off der Medizinischen Universität Graz) ein, mit deren Hilfe das Pflegepersonal selbstständig die notwendigen Anpassungen der Insulindosierung durchführen kann, sodass der Blutzuckerwert im Normbereich bleibt.

Auf den internistischen und geriatrischen Stationen im Haus St. Elisabeth wurde in einem ersten Schritt seit 2022 ein neues mobiles System zur Erfassung und Dokumentation von Blutzucker-Messwerten der Patient*innen getestet: das cobas® pulse System der Schweizer Firma Roche Diagnostics, handhabbar wie ein Smartphone. Damit wird der am Patienten oder an der Patientin erhobene Messwert in Echtzeit in die digitale Patientenakte eingelesen. Nun wurde die GlucoTab-Software als App auf das mobile pulse Gerät aufgespielt: Damit ist ein umfassendes Diabetesmanagementsystem entstanden, das den Patient:innen und dem medizinischen Personal zu einer großen Sicherheit verhilft.

Jochen Schäfer, der die drei internistischen Bettenstationen im Haus St. Elisabeth pflegerisch leitet, machte schon mit dem cobas® pulse System gute Erfahrungen: „Es nimmt dem Pflegepersonal Arbeit ab, denn eine Zwischendokumentation entfällt, Übertragungsfehler werden somit ausgeschlossen.“ Mit der App ist aber nun, wie Dr. Menzen bei der Einführung betonte, „ein Meilenstein in der Versorgung von Diabetikern erreicht“. Denn: Bei einem kritischen Wert muss nicht auf den Arzt gewartet werden.

Das Gemeinschaftskrankenhaus hat damit eine Vorreiterrolle: Es ist das erste Haus in Deutschland, das dieses KI-gestützte System erprobt. „Hilfreich ist, dass das Haus über die komplett elektronische Patientenakte verfügt, die bei der Mobilen Visite über das iPadMini gesteuert wird“, so Michael Kreuzer, Leiter der Abteilung IT/Organisation, der die Erfahrungen mit dem Diabetesmanagementsystem gemeinsam mit Schäfer im Februar beim Entscheider-Event, dem Digitalisierungsgipfel der Gesundheitswirtschaft, in Düsseldorf vorstellte.

Und so wird das GlucoTab-System eingesetzt: Bei der Aufnahme eines Patienten oder einer Patientin mit Diabetes gibt der Arzt bzw. die Ärztin die vorbestehende Therapie sowie weitere Parameter (Gewicht, Alter, Kreatininwert etc.) in das Programm ein. Nach Bestätigung der Verschreibung sind unmittelbar Aufgaben für die Pflege in der Pflegeplanung aktiv. Vor den Hauptmahlzeiten, vier bis fünfmal pro Tag, wird durch das Pflegepersonal mit dem Pulse Gerät der Blutzucker gemessen, nachdem der Patient bzw. die Patientin per Barcode-Scan sicher identifiziert ist. Schäfer: „Der Wert erscheint im Display, dazu die Frage, ob der Patient bzw. die Patientin bald eine Mahlzeit zu sich nehmen wird. Nach der Eingabe wird automatisch ein Dosisvorschlag berechnet. Ich gebe dann ein, wieviel Insulin ich tatsächlich spritze. Somit sind die für die aktuelle Tageszeit geplanten Arbeitsschritte abgeschlossen und dokumentiert. GlucoTab berechnet aus dem bisherigen Therapieverlauf eine angepasste Tagesdosis, die vom medizinischen Personal bestätigt oder bei Bedarf geändert wird. So kann Über- oder Unterdosierung vermieden werden.“ 

Dies gebe ihm sehr viel Sicherheit. Denn es sei gewährleistet, dass flexibel auf wechselnde Behandlungs- oder Erkrankungsphasen reagiert wird, die einen direkten Einfluss auf die Blutzuckerhöhe und damit den Insulinbedarf haben. Schäfer: „So wird einerseits die Therapieführung für das behandelnde Team erleichtert und andererseits die stationäre Behandlung von Menschen mit Diabetes sicherer gestaltet.“

Der Messwert wird sofort mittels WLAN ins Krankenhaus- Informationssystem (KIS) des Gemeinschaftskrankenhauses übertragen, sodass das Pflegepersonal bei der Dokumentation entlastet ist. Auch die Therapie bei Entlassung sowie weiterführende Maßnahmen können während des Aufenthaltes fortlaufend geplant und dokumentiert werden.

Für die Patient:innen bedeutet das eine höhere Sicherheit, weniger Komplikationen, eine kürzere Verweildauer im Krankenhaus und eine höhere Behandlungszufriedenheit. Die Klinik profitiert zusätzlich durch einen vereinfachten und sicheren Arbeitsablauf auf Station, eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit und durch geringere Kosten. Derzeit sind zwei Abteilungen der Inneren Medizin des Gemeinschaftskrankenhauses mit dem GlucoTab-System ausgestattet. Im Laufe des Jahres wird es hausweit eingeführt, so dass es dann auf allen Stationen verfügbar ist.

So führt das Das Diabetes-Team am Gemeinschaftskrankenhaus Bonn, das bis zur Wiederbesetzung der Chefarztstelle kommissarisch von Oberärztin Dr. Svenja Mohr geleitet wird, das wichtige Projekt im Sinne von Dr. Menzen weiter.

Quelle: gk-bonn.de
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