Medizinischer Fortschritt basiert auf Daten

2. September 2022

Unter dem Motto „Medizin im Wandel – Präziser, Integrativer, Nachhaltiger“ kamen vom 21.-25. August 2022 rund 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur digitalen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) und der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) zusammen. Sie diskutierten Chancen und Herausforderungen auf dem Gebiet der Medical Data Sciences.

Der demographische, soziologische und technologische Wandel verlangt nach neuen Wegen, um ärztliches Handeln besser auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zuzuschneiden. „Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Krisen ist größere Effizienz und Nachhaltigkeit auch ein Thema für die Medizin. Medizinische Versorgung verbraucht enorme volkswirtschaftliche Ressourcen. Personalisierung verspricht hier nicht nur eine bessere Versorgung der individuellen Patientinnen und Patienten, sondern auch eine Einsparung durch gezieltere Vorsorge und Therapie“, begrüßt der Tagungspräsident Prof. Dr. Michael Krawczak vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, die Teilnehmenden der Konferenz. Technische und methodische Neu- und Weiterentwicklungen aus dem disziplinenübergreifenden Fachgebiet der Medical Data Sciences helfen dabei, die hierfür erforderlichen Daten, Informationen und Wissensinhalte besser zu vernetzen und zu nutzen. So kann Forschung dazu beitragen, Medizin im Wandel effizient – und damit nachhaltig – zu gestalten. „Gerade das gemeinsame Wirken der Medizininformatik, Biometrie, Epidemiologie, Bioinformatik und medizinischen Dokumentation trägt dazu bei, neue Erkenntnisse noch schneller in die Anwendung zu bringen“, betont GMDS-Präsident Prof. Dr. Harald Binder anlässlich der Eröffnung der Konferenz.

Technische und methodische Fragen der Forschungsnutzung von Gesundheitsdaten standen im Mittelpunkt der Diskussion

Hochrangige Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland befassten sich während der fünftägigen Konferenz in fünf Keynotes, 23 Vortragssessions und zwei Paneldiskussionen mit den Fragen der Verfügbarkeit und Nutzung sowie des Schutzes und der Sicherheit von Gesundheitsdaten. Außerdem wurden die ethischen, rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der Forschungsnutzung von Gesundheitsdaten beleuchtet. Dazu diente insbesondere die Paneldiskussion "Gesundheitsdatenarchitektur für Versorgung und Forschung: Wie wächst zusammen, was zusammengehört?" unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern großer Forschungsinfrastrukturinitiativen.

„Das Ziel großer Initiativen wie der Medizininformatik-Initiative (MII) und des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) ist es, Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen Quellen besser zugänglich und für die Forschung nutzbar zu machten“, erläuterte TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler. Auf politischer Ebene soll dieses Anliegen in der laufenden Legislaturperiode u. a. mit der Schaffung eines Forschungsdatengesetzes und eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes vorangebracht werden. „Dafür braucht es eine übergreifende Infrastrukturplanung und Konvergenz der bestehenden Initiativen“, so Semler.

Potenziale, Chancen und Bedarfe einer vernetzten Gesundheitsdatenarchitektur für Forschung und Versorgung

Kooperationen zwischen verschiedenen Einrichtungen und Infrastrukturen der Gesundheitsforschung kommt dabei eine immer größere Bedeutung zu. In den letzten Jahren haben Wissenschaft und Politik bereits große Dateninitiativen auf den Weg gebracht, die es nun zu bündeln gilt. So soll die Medizininformatik-Initiative zum Herzstück der datenbasierten Gesundheitsforschung in Deutschland werden und der Wissenschaft ein breites Spektrum medizinischer Daten bereitstellen.

„Das zukünftige, durch die MII etablierte nationale Forschungsdatenportal für Gesundheit muss den Weg dafür öffnen, Forschungsdaten unabhängig von ihrem jeweiligen Projektumfeld über einen einheitlichen Zugangsweg auffindbar zu machen“, forderte MII-Konsortialleiter Prof. Dr. Hans-Ulrich Prokosch. Die MII wird zukünftig enger mit dem NUM kooperieren, um mögliche Synergien beider Initiativen besser zu nutzen.

Die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Initiative genomDE dient dem Aufbau einer bundesweiten Plattform für die medizinische Genomsequenzierung und dem Austausch der dabei entstehenden molekularen Daten. "Die genomische Medizin erfordert wissensgenerierende Versorgungskonzepte. Diese benötigen als Kernelement eine umfassende Dateninfrastruktur zur ergebnisorientierten Evaluation und iterativen Anpassung der Versorgungskonzepte. Eine Vernetzung und Zusammenführung von bestehenden Datenbanken ist hierzu unerlässlich“, unterstrich TMF-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Rita Schmutzler vom Universitätsklinikum Köln.  

Die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) wiederum treiben die Forschung zu den großen Volkskrankheiten voran und sind wichtige Innovatoren in der Medizin. „Die zunehmende Häufigkeit multimorbider Patientinnen und Patienten erfordert übergreifende Forschungsansätze, die wiederum eine gemeinsame Dateninfrastruktur benötigen“, erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Standortsprecher am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Universitätsmedizin Greifswald.

Kooperationen zwischen diesen Einrichtungen und Initiativen könnten zukünftig die Nutzung möglicher Synergien befördern, indem sie Expertisen bündeln und die Entwicklung neuer Methoden und Technologien unterstützen. Die Referentinnen und Referenten waren sich einig, dass ein Kulturwandel in der Wissenschaft vonnöten sei, nicht nur um solche Kooperationen Realität werden zu lassen, sondern auch um eine echte „Kultur des Datenteilens“ zu schaffen.

Herausforderung Datenschutz

In institutions- und länderübergreifenden Forschungsvorhaben wird der Datenschutz oft zu einer Herausforderung. Das nationale und europäische Datenschutzrecht macht die Nutzung personenbezogener Daten für Forschungszwecke zu einer komplexen Angelegenheit. „Im Datenschutz besteht eine enorme Diskrepanz zwischen juristischer Auffassung und alltäglicher wissenschaftlicher Praxis“, erläuterte Prof. Georg Schmidt, Arbeit­skreis Medi­zinis­cher Ethikkom­mis­sio­nen (AKEK) in der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land e.V. „Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Auslegungen der EU-Datenschutzgrundverordnung durch die Bundes- und Landesdatenschutzbehörden sowie die lokalen Datenschutzbeauftragten - mit einer Tendenz zur engen Auslegung des gesetzlichen Rahmens." Deshalb empfiehlt Prof. Dr. Sebastian Graf von Kielmansegg, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Datennutzung für die medizinische Forschung konsequenter auszuschöpfen. Prof. Dr. Klaus Pommerening, langjähriger Sprecher der TMF-Arbeitsgruppe Datenschutz, wünscht sich, dass existierende Datenschutzkonzepte umfassend angepasst, weiterentwickelt und erweitert werden, um den Anforderungen der Digitalisierung in der Medizin Rechnung zu tragen. „Wir werden Therapien nur dann verbessern, wenn wir den bereits vorhandenen und noch entstehenden Schatz medizinischer Daten konsequent nutzen. Überbordender Datenschutz kostet nicht nur Geld, sondern auch Leben. Was anderswo in der EU, wie in Estland und Dänemark, in einem identischen EU-Rechtsrahmen möglich ist, muss auch in Schleswig-Holstein möglich sein“, forderte Dirk Schrödter, Chef der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein.

Einbezug von Patientinnen und Patienten bedeutsam

Hannelore Loskill, BAG Selbsthilfe, forderte mehr Aufklärung für Patientinnen und Patienten über die Nutzung ihrer Daten für medizinische Forschung. „Forschung ohne Patienten ist nicht möglich!“, so Loskill. Patientinnen und Patienten seien oft bereit dazu, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, aber man muss sie über Ziele und Fortgang der Forschung regelmäßig und umfassend informieren.

Quelle: Pressemeldung – medizininformatik-initiative.de
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