Projekt: Pflegefachkräfte übernehmen ärztliche Tätigkeiten

16. Juli 2024

Bessere medizinische Versorgung im ländlichen, strukturschwachen Raum / Absolventen starten im Projekt ErwiN

Spezialisierte Pflegefachkräfte übernehmen künftig Aufgaben, die bislang ausschließlich Ärzten vorbe­hal­ten sind. Dies soll insbesondere die Versorgung der Menschen in dünnbesiedelten Gebieten verbessern und in den kommenden Jahren erhalten. Am Institut für Pflegewissenschaft und Interprofessionelles Lernen der Unimedizin Greifswald haben jetzt die ersten neun exami­nier­ten und berufserfahrenen Pflege­fachpersonen an einer halbjährigen Qualifikation teilgenommen. Sie ha­ben ihre Prüfung abgelegt und dürfen nun als „Spezialisierte Pflegefachpersonen“ heilkundliche Tätigkei­ten über­neh­­men.

Um den Folgen des steigenden Ärztemangels entgegenzuwirken und unnötige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden, dürfen Ärzte im Rahmen des Modellprojekts mehr Aufgaben an qualifi­zier­tes Pflege­fach­per­sonal übertragen. Nach der staatlichen Abschlussprüfung dürfen diese Spezialisierten Pflegefachpersonen (SPFP) im ärztlichen Auf­trag selbst­stän­dig und eigenverantwortlich den Gesundheitszustand der Patienten prüfen, Vital- und Labor­parameter kon­trollieren und Medikamente bei Bedarf hinsichtlich ihrer Anwendung anpassen. Sie beraten die Patienten und verordnen notwendige Pflegehilfs­mit­tel sowie Verbandmaterial. Dabei stehen sie immer im Austausch mit den Ärzten, bei Hausbesuchen auch telemedizinisch. Das Institut für Pflege­wissen­schaft und Interprofessionelles Lernen der Unimedizin Greifswald hat die neun Teil­neh­men­den seit Januar 2024 zu diesen Speziali­sier­ten Pflegefachpersonen weitergebildet.

Institutsdirektor Prof. Steve Strupeit erläutert: „Dies ist Pionierarbeit, die sich lohnen wird. Wir zeigen in die­sem Modellprojekt, dass Pflegefachpersonen die Kompetenzen haben, Heilkunde selbstständig aus­üben zu können. Dies ist die Vorstufe zu den notwendigen gesetzlichen Änderungen. Wir zeigen außerdem, dass die Versorgung nur im interprofessionellen Team gesichert werden kann.“

Den gesetzlichen Rahmen zu dieser Übertragung hatte die Bundesregierung geschaffen. Mehrere Partner in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin hatten daraufhin das Projekt ErwiN gestartet. Das Kürzel steht für „Erweiterte Übertragung von arztentlastenden Tätigkeiten in Arzt-Netzen“. Es wird vom In­no­­va­tionsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert. Der G-BA ist das höchste Selbstverwal­tungs­gremium im deutschen Gesundheitswesen.

Einer der Partner von ErwiN ist das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Der Standort Rostock/Greifswald ist für die Qualifikation zuständig. Als Kooperationspartner hat das Institut für Pflege­wissen­schaft und Interprofessionelles Lernen die neun Teilnehmenden zu SPFP weitergebildet. Die Absol­venten sind in den Arztnetzen HaffNet (Mecklenburg-Vorpommern) sowie AGBAN (Berlin und Nordbran­den­burg) und MEDIS (Südbrandenburg) tätig.

Nach der bestandenen Prüfung werden die neun Fachkräfte ab dem 8. Juli für anderthalb Jahre insge­samt rund 1.300 Patienten der beiden Partnerkrankenkassen AOK Nordost – Die Gesundheitskasse und BARMER in den Arztnetzregionen versorgen. Bereits in der Vorbereitungs- und Pilotierungsphase zeichnet sich bei den mehr als 70 teilnehmenden Hausärztinnen und Hausärzten der Ärztenetze eine hohe Akzep­tanz dieser Versorgung ab. Die Auswirkungen dieser Versorgung werden analysiert und vom Institut AGE­NON in Berlin evaluiert. Die Ergebnisse wird der Innovationsausschuss des G-BA bewerten. Ziel soll es sein, dass der G-BA aufgrund der Evaluationsergebnisse nach Projektende eine positive Bewertung des Projekts abgibt und diese Übertragung von Aufgaben Teil der Regelversorgung wird. Damit kann sowohl ein wichtiger Beitrag zur medizinischen Versorgungssicherung strukturschwacher Regionen geleistet werden, als auch der Pflegeberuf eine deutliche Aufwertung erfahren, wie sie international oft schon selbstverständlich ist.

Quelle: medizin.uni-greifswald.de
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