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ZI: Vergütungsexperten fordern pragmatischen Einstieg sowie Neubewertung der Leistungen

2. Dezember 2022

Neuer Paragraf 115f SGB V Durchbruch zur mehr Ambulantisierung stationärer Leistungen?

Zi diskutiert mit Gesundheitsökonomen über spezielle sektorengleiche Vergütung 

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat gestern Abend im Rahmen seines Livestreaming-Formats „Zi insights“ mit Gesundheitsökonomen diskutiert, wie eine sektorengleiche Vergütung gestaltet werden könnte und welche Auswirkungen die Einführung einer neuen einheitlichen Vergütungssystematik vermutlich haben wird.

Hintergrund ist das Vorhaben der Regierungskoalition, für ambulant durchführbare Behandlungen einen Vergütungsbetrag festzulegen – unabhängig davon, ob diese Leistung im Krankenhaus ambulant oder stationär bzw. durch eine Arztpraxis erbracht worden ist. Dieser Vergütungsbetrag soll zwischen der Fallpauschale für die stationäre Krankenhausbehandlung (DRG) und der vertragsärztlichen Vergütung liegen. Damit sollen ambulante Behandlungen gefördert und Krankenhausstrukturen entlastet werden. Konkret soll mit dem Krankenhaus-Pflegeentlastungsgesetz (KHPflEG), das morgen in 2. und 3. Lesung im Deutschen Bundestag beraten werden soll, ein neuer Paragraf 115f in das SGB V aufgenommen werden. Darin werden die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband beauftragt, bis zum 31. März 2023 für geeignete Leistungen aus dem Katalog ambulant durchführbarer Leistungen (AOP-Katalog) eine spezielle sektorengleiche Vergütung zu vereinbaren. Im Vordergrund stehen dabei Leistungen des AOP-Katalogs, die nach wie vor in hohem Maße stationär durchgeführt werden.

Die starken Preisunterschiede zwischen ambulanter und stationärer Leistungserbringung sind nach Einschätzung des stellvertretenden Zi-Vorstandsvorsitzenden Thomas Czihal mit dafür verantwortlich, dass die Ambulantisierung nach wir vor nur schleppend voranschreitet. Ein prägnantes Beispiel hierfür sei die Leistenbruch- und Katarakt-Operation. „Die stationäre Durchführung der Leistenbruch-Operation (Hernia inguinalis, OPS 5-530.31) wird 3,4-mal höher vergütet als die ambulante. Die Operation wird zu 96 Prozent stationär erbracht. Die stationäre Durchführung der Kataraktoperation (OPS 144.5a) wird 1,8-mal höher vergütet als die ambulante; sie wird heute bereits zu 84 Prozent ambulant erbracht. Nach unseren Berechnungen beträgt die Vergütung der stationären Durchführung von Leistungen des Abschnitts 1 des AOP-Katalogs durchschnittlich rund das Vierfache der Vergütung einer ambulanten Leistungserbringung. Eine möglichst hohe Vergütung für die ambulante Durchführung wird ein wichtiger Anreiz zur Förderung der ressourcenschonenderen ambulanten Behandlung sein“, so Czihal weiter.

Der Gesetzgeber hatte die Ambulantisierung bereits mit dem MDK-Reformgesetz 2020 fördern und den AOP-Katalog stärken wollen. Dr. Martin Albrecht, Geschäftsführer des IGES Instituts, hat im Rahmen eines Gutachtenauftrags für KBV, DKG und GKV-Spitzenverband überprüft, zu welchen Anteilen Leistungen des AOP-Katalogs bereits ambulant erbracht werden und wie der AOP-Katalog sinnvoll erweitert werden könnte. „Wir sehen ein Potenzial, den Katalog der ambulantisierbaren Leistungen um rund 2.500 medizinische Leistungen umfassend zu erweitern. Da dieselbe Leistung bei sehr unterschiedlichen Patientinnen und Patienten durchgeführt werden kann, unterscheiden sich die jeweiligen ambulantisierbaren Anteile. Es braucht daher zur Wahrung der Patientensicherheit ein System der Kontextberücksichtigung. Ein solches ermöglicht es auf Grundlage nachprüfbarer Krankheits- und Behandlungsumstände zu entscheiden, ob Patientinnen und Patienten ambulant, ambulant mit erhöhtem Betreuungsaufwand oder doch stationär versorgt werden. Mit diesem System lassen sich auch die sektoreneinheitlichen Vergütungen nach dem Schweregrad des Behandlungsfalls differenzieren. Das lässt sich weitgehend ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand umsetzen und vermeidet die vielen Unschärfen, die heute zu zahlreichen Prüfverfahren führen.“

Prof. Dr. Jonas Schreyögg, wissenschaftlicher Direktor des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, hat in einem vom Innovationsfonds geförderten Projekt Möglichkeiten einer schnellen Umsetzung einer sektorengleichen Vergütung geprüft. „Wir schlagen eine Implementierung in zwei Phasen vor. Beide sehen die Vergütung unabhängig vom Ort der Behandlung, aber in Abhängigkeit der medizinischen Komplexität vor. Ausgehend vom AOP-Katalog soll in der ersten Phase zunächst eine pragmatische Orientierung an den bestehenden Fallpauschalen erfolgen. Dabei werden sektorengleiche Leistungsgruppen auf Basis des bestehenden Kostenrahmens des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus kalkuliert und über sektorengleiche Pauschalen vergütet. Eine temporäre Überfinanzierung ist dabei wichtig. Denn klar ist doch: Wir brauchen einen Anreiz, um neue Strukturen zu schaffen“, machte Schreyögg deutlich. Geplant sei zudem, innerhalb von etwa drei Jahren eine gemeinsame Datengrundlage zu schaffen, um sektorengleiche Leistungen zukünftig sektorenübergreifend empirisch kalkulieren und bewerten zu können. In der zweiten Phase sollten basierend auf einer einheitlichen Leistungsdefinition nach dem Baukastenprinzip zusammensetzbare sektorengleiche Leistungsgruppen gebildet und über sektorengleiche Pauschalen vergütet werden.

Insgesamt zeige die Diskussion, dass KBV, DKG und GKV-Spitzenverband alle Instrumentarien in den Händen hielten, um bis zum 31. März 2023 einen umfangreichen Katalog von Leistungen für die sektorengleiche Vergütung festzulegen, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried. „Um die Ambulantisierung zu fördern, müsste das Preisgefälle im Vergleich zur bisherigen stationären Durchführung in den ersten Jahren möglichst gering sein. Keinesfalls sollte es unterhalb des gewichteten Mittelwerts der Vergütungen für die ambulante und stationäre Durchführung liegen. Da die allermeisten bisher stationär durchgeführten AOP-Leistungen ohnehin einen sehr geringen Schweregrad aufweisen, wird eine hochdifferenzierte Schweregradeinteilung weitgehend entfallen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Schweregradspanne innerhalb der Fallpauschalen für die stationäre Durchführung nach dem sogenannten Patient Clinical Complexity Level heute bei weitem größer ist als für die abzugrenzenden AOP-Leistungen. Wichtig ist nunmehr ein pragmatischer Einstieg und eine Neubewertung der Leistungen bzw. eine auf empirische Kostendaten gestützte Neukalkulation der Vergütung nach zwei bis drei Jahren Erfahrung mit der sektorengleichen Vergütung. Dies haben uns andere europäische Länder vorgemacht“, so von Stillfried abschließend.

Quelle: zi.de
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