Offener Brief an den Bundesgesundheitsminister: Drohendes Kliniksterben infolge steigender regulatorischer Anforderungen

Sie erhalten in diesen Tagen sicherlich bereits viel Post von besorgten Klinikmanager:innen und Verbandsvertreter:innen, die auf die derzeit äußerst angespannte finanzielle Situation im Krankenhaussektor hinweisen. Ihre Aufmerksamkeit möchten wir daher heute auf einen Punkt lenken, der diese Situation noch erheblich verschärfen könnte: Auf die steigenden regulatorischen Anforderungen auf nationaler und europäischer Ebene zur Erreichung der gesteckten Nachhaltigkeitsziele.

4. Januar 2024
  • Politik
  • Ökonomie

Sehr geehrter Herr Bundesminister Prof. Lauterbach,

Sie erhalten in diesen Tagen sicherlich bereits viel Post von besorgten Klinikmanager:innen und Verbandsvertreter:innen, die auf die derzeit äußerst angespannte finanzielle Situation im Krankenhaussektor hinweisen. Ihre Aufmerksamkeit möchten wir daher heute auf einen Punkt lenken, der diese Situation noch erheblich verschärfen könnte: Auf die steigenden regulatorischen Anforderungen auf nationaler und europäischer Ebene zur Erreichung der gesteckten Nachhaltigkeitsziele.

Damit kein Missverständnis entsteht: Die unter anderem mit dem EU-Green-Deal vorgegebenen Ziele sind unverhandelbar – und sie gelten selbstverständlich auch für die Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Gerade Krankenhäuser verfügen als Energie-Hochverbraucher über einen starken Hebel, um beispielsweise durch energetische Verbesserungen einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens zu leisten – und sie sind dazu bereit!

Gleichwohl lassen sich die Kliniken hierzulande nur unter besonderen Anstrengungen auf „grün“ schalten. Denn der Sektor ist von einem überalterten Immobilienbestand gekennzeichnet, zudem haben ökologische Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Planung von Krankenhäusern bislang zumeist nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Folge ist ein immenser Investitionsbedarf aufgrund notwendiger Bestandssanierungen, Umbauten oder Ersatzneubauten.

Diese Anstrengungen zu schultern fällt umso schwerer, als die Häuser ohnehin einem erheblichen Kostendruck ausgesetzt sind: Nach den Belastungen der Corona-Pandemie werden sie nun mit voller Wucht von der Inflation und den gestiegenen Energiekosten getroffen. Während Unternehmen in der freien Wirtschaft diese Kosten zumeist weitergegeben können, bleibt Kliniken dieser Weg aufgrund des DRG-Fallpauschalen-Systems verwehrt. Vor diesem Hintergrund mussten in Deutschland allein im Verlauf dieses Jahres bereits mehr als 30 Kliniken Insolvenz anmelden!

Die geplante Krankenhausreform wird die finanzielle Situation der Kliniken nicht kurzfristig entlasten können. Denn die beabsichtigten Effekte der Reform werden in den Finanzhaushalten der Häuser bestenfalls erst nach einiger Zeit zu spüren sein – Zeit, die viele Kliniken nicht haben!

Denn zusätzlich zum vorhandenen Kostendruck entstehen ökonomische Herausforderungen bereits jetzt – wie eingangs erwähnt – auch aus regulatorischen Anforderungen:

Zum einen hat die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) im Sommer dieses Jahres die Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken (MaRisk) um sogenannte Nachhaltigkeitseinflussfaktoren erhöht. Dies führt dazu, dass Banken bei der Kreditvergabe auch an Krankenhäuser verstärkt auf die Einhaltung von ESG-Standards achten müssen.
Zum andern sehen neue Berichtspflichten nach der sogenannte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor, dass große Unternehmen, zu denen auch viele Krankenhäuser gehören, künftig verstärkt über ESG-Kriterien berichten müssen. Auch dies erhöht den Druck auf die Häuser, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern.
Die zentrale Sorge, die sich aus diesen Entwicklungen ergibt, ist die potenzielle Ablehnung von Krediten für Krankenhäuser, wenn sie die geforderten Nachhaltigkeitsfaktoren nicht erfüllen: Wenn Kliniken keine Kredite mehr erhalten oder nur noch zu sehr hohen Zinssätzen, könnten sie in erhebliche Schwierigkeiten bei der Finanzierung ihrer Investitionen geraten. Im Ergebnis könnte dies dazu führen, dass die Häuser gezwungen sind, Dienstleistungen zu reduzieren oder gar zu schließen – mithin droht ein Kliniksterben bislang ungekannten Ausmaßes!

Die Konsequenzen einer solchen Entwicklung wären schwerwiegend für die Gesundheitsversorgung in Deutschland. Reduzierte Investitionen in medizinische Ausrüstung und Infrastruktur könnten die Qualität der Gesundheitsdienstleistungen dramatisch beeinträchtigen und die Wartezeiten für Patienten verlängern. Die Gefahr für die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen in unserem Land würde deutlich steigen.

In Anbetracht dieser Herausforderungen und der potenziell gravierenden Auswirkungen bitten wir Sie, sehr geehrter Herr Prof. Lauterbach, die Bedeutung dieses Themas zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Es ist für das Wohl unseres Landes von entscheidender Bedeutung, die richtige Balance zwischen der Sicherung der ökonomischen Grundlagen des Krankenhaussektors, der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen sowie der Sicherstellung einer hochwertigen Gesundheitsversorgung zu finden.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Vorstand der Evangelischen Bank eG

Quelle:

eb.de


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